Klangnacht - Improvisation
Reise ins Ich durch neuen Raum
(Bericht der HNA im Juni 03 - Angelika Großwiele)
Völlig neue Qualitäten entdeckten die Besucher der Lippoldsberger Klangnacht an sich und vor allem an der alten Klosterkirche, die akustisch erforscht wurde.
Die alten Kirchen als wuchtige, weithin wahrnehmbare Zeugen vergangener Jahrhunderte stehen in Gefahr, in der öffentlichen Wahrnehmung reduziert zu werden auf touristische Sehenswürdigkeiten und beherrschende Elemente des Stadtbildes.
Pfarrer Christian Trappe und Kantor Waldemar Rumpf an der Lippoldsberger Klosterkirche haben ein Konzept entwickelt, den Kirchenraum der rund 900 Jahre alten romanischen Basilika sinnlich erfahrbar zu machen und damit Besucher anzusprechen über den Kreis der Gottesdienst- oder Konzertgemeinde hinaus.
Eingeladen war zur "Klangnacht" - dabei handelte es sich um akustische Raumerlebnisse mit Eventcharakter zur späten Abendstunde.
Totale Dunkelheit
Das flackernde Licht der brennenden Fackeln auf dem Kirchhof ließ die Kirche nur schemenhaft erscheinen und stimmte ein auf die totale Dunkelheit im Innern - wer noch nicht auf Schweigen eingestimmt war, der wurde durch das begleitende Programmblatt dazu aufgefordert - denn jetzt gab es nur noch Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung.
Klosterkirche Lippoldsberg - Klangnacht - Dunkelheit
© Andreas Wittmeier
Die beteiligten Chorsänger der Kantorei Lippoldsberg hatten sich unter Anleitung ihres Kantors auf ein Klangexperiment eingelassen, das neben dem Erzeugen von Tönen auch szenarische Elemente enthielt. Weitgehend mit improvisatorischen Mitteln, die Stimme ganz anders als bei komponierten Satzfragmenten des 117. Psalms, produzierten sie Melodien von rundem, weichfließendem Charakter, die in ihrer zufälligen Schichtung immer neue Klangbilder ergaben.
Wogende Klangsäulen
Für die Zuhörer wurde die physikalische Tatsache, dass Hörbares aus Schwingungen der Luft besteht, körperlich fühlbar - Klänge dieser Dichte innerhalb der dicken mittelalterlichen Mauern machten aus jedem einzelnen eine wogende Klangsäule.
Der mehrfach erklingende, harmonisch-anrührige Satz zur Kopfzeile des 11. Psalms "Laudate omnes gentes" (Lobet den Herrn, alle Völker!) machte deutlich, dass das Geschehen mehr war als ein Akustik-Event.
Zum Klanggeschehen trug darüber hinaus der Kasseler Schlagzeuger Olaf Pyras bei, dem seine Neigung für Experimentelles anzumerken war - wobei für den Hörer nicht immer identifizierbar war, mit welchen Gerätschaften neben dem großen Gong er auch bizarre Klänge erzeugte.
Tönende Zuschauer
Klosterkirche Lippoldsberg - Klangnacht
© Andreas Wittmeier
Eine herausragende Rolle spielte die Klangnacht - erfahrene Sopranistin Gundula Bernholt, langjährige Mitarbeiterin von Kantor Rumpf, die nicht nur zu Improvisation und Komposition stimmlich beitrug, sondern sehr wirkungsvoll auch die Zuhörerschaft zum eigenen Tönen motivierte - während des Wandelns durch alle Bereiche der Basilika bildeten die Teilnehmer wie zuvor die Chorsänger und Sängerinnen das klangliche Wogen im Kirchenschiff.
Wer sich mit innerer und äußerer Bereitschaft auf das Experiment "Klangnacht" eingelassen hatte, dem wurde zur exemplarischen Erfahrung, was Landesbischof Martin Hein in einer Veröffentlichung zu Kirchbauten schrieb:
"... mitten in der Flut von Bildern und Informationen, die uns täglich überfällt, werden unsere Kirchen allein dadurch, dass sie da sind und allen offen stehen, zu einem Kontrapunkt gegen das äußere und innere Chaos."
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