Lippoldsberger Lobgesang - Adventsmusik
Komponist - Dankmar Venus
Der "Lippoldsberger Lobgesang" wurde von Dankmar Venus 2005 für die Kantorei der Basilika St. Georg in Lippoldsberg an der Weser als Adventsmusik komponiert.
Bei der Uraufführung wirkten mit:
Gundula Bernhold (Sopran)
Gerd Neumann (Bariton)
Theater Rollwagen (Sprecher)
Christian Trappe (Bildtechnik)
Ensemble Fiori Concertati
(unter Leitung von Matthias Hengelbrock, Konzertmeister)
Kantorei St. Georg, Lippoldsberg
Posaunenchor St. Georg, Lippoldsberg
Gesamtleitung: Kantor i.R. Waldemar Rumpf
Waldemar Rumpf (links) und Dankmar Venus am Klavier
Allem Anfang wohnt ein Zauber inne...
So auch der neuen Tondichtung des Göttinger Komponisten Dankmar Venus, die am 3. Advent 2005 um 17 Uhr zum ersten Mal in der Klosterkirche erklang. Die neuen Kompositionen – Empathien genannt – empfinden den Stil vergangener Epochen nach und nehmen die Zuhörer mit auf eine musikalische Reise durch acht Jahrhunderte. Gregorianik, Renaissance, früher und später Barock, Klassik, Romantik, Moderne und die Gegenwart kommen so zu Gehör.
Dabei wird neben den Eigentümlichen jeweils auch Verbindendes deutlich, denn die Musik spiegelt zu allen Zeiten die Gefühle der Menschen wider. Leid, Sehnsucht, Freude fließen zusammen im großen Lobgesang, einem harmonischen Zusammenklang der Gegensätze.
Venus hat seine Komposition der Klosterkirche Lippoldsberg gewidmet, in der seit 850 Jahren in ununterbrochener Tradition Musik zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen erklingt.
Interview mit dem Komponisten Dankmar Venus
Kurz vor der Uraufführung haben wir Dankmar Venus am Nikolaustag 2005 zum Lippoldsberger Lobgesang befragt. Die Antworten sind jeweils als Text- und Audiodatei verlinkt.
- Wie kam es zu der Idee eines Streifzugs durch 800 Jahre Kirchenmusikgeschichte?
Text »» Audio »» - Welche Epochen sind vertreten?
Text »» Audio »» - Es wird nicht nur Musik zu hören sein, welche anderen Ausdrucksmittel sind für die Aufführung geplant?
Text »» Audio »» - Wer hat an der Entstehung mitgewirkt?
Text »» Audio »» - Wie kann man die inhaltliche Kernaussage beschreiben?
Text »» Audio »» - Es gibt ja auch deinen Lippoldsberger Kreuzweg, der ist vor einigen Jahren uraufgeführt worden, und noch ein zweites Mal hier und anderswo. Gibt es thematische Verbindungen zwischen dem Kreuzweg und dem Lobgesang?
Text »» Audio »» - Wie lange hat die Komponiererei des Lobgesangs insgesamt gedauert und wie hast du dich auf die Komposition, auf die Zeiten vorbereitet?
Text »» Audio »» - Musikstile beschreiben ja auch den Zeitgeist der Menschen, was sie fühlen und denken, aber auch immer den Kontext, in dem sie stehen. Haben sich die Befindlichkeiten der Menschen mit der neuen Musik geändert?<br> Text »» Audio »»
- In welcher musikalischen Epoche bist du gefühlsmäßíg am meisten zu Hause?
Text »» Audio »» - Hätte nicht in der romantisierenden Jugendzeit um 1920 rum die Romantik ganz stark sein müssen?
Text »» Audio »» - Du hast die Proben der Kantorei ganz oft begleitet. Es ist ein großes Erlebnis zu hören, wie du dir die Musik gedacht hast. Kannst du aus deiner Beobachtung heraus sagen, auf welche Stilrichtung sich die Sänger und Sängerinnen am besten einlassen konnten?
Text »» Audio »» - Wie entsteht bei dir die Musik, im Kopf oder am Klavier?
Text »» Audio »» - In wenigen Tagen wird das Werk "Lippoldsberger Lobgesang" uraufgeführt und du kriegst es das erste Mal vollständig zu hören. Wie ist dir zumute, wenn du an den ersten Moment denkst, in dem die Musik beginnt?
Text »» Audio »»
1. Wie kam es zu der Idee eines Streifzugs durch 800 Jahre Kirchenmusikgeschichte?
Die Idee kam eigentlich in dem Augenblick, als Kantor Waldemar Rumpf mir sagte, dass er im Jahr 2005 sein Abschiedskonzert gibt, dass er nach 45 Jahren Kantoren- und Organistendienst aufhören will. Und da war sofort für mich der Gedanke da: Dazu will ich ihm ein Werk widmen.
Jetzt kam aber die Frage: Wie kann man die Tätigkeit von ihm in Verbindung bringen mit einer Komposition? Und da er mit Lippoldsberg so stark verbunden ist, wars eigentlich nahe liegend, zu sagen: Alle Musik, die hier in Lippoldsberg erklungen ist oder hätte erklingen können, seit dem der Bau besteht, die will ich versuchen, in einem Werk zusammenzufassen. Und so kam der Gedanke, eine Zeitreise mit der Kantorei vom 12. Jh bis in unser Jahrhundert hinein zu machen.
2. Welche Epochen sind vertreten?
Vertreten ist zunächst einmal das Mittelalter, mit der Einstimmigkeit, dann der Zweistimmigkeit, den so genannten Organa, das sind zweistimmige Gesänge, die immer im gleichen Quintabstand voneinander erfolgen, dann die Drei- Vierstimmigkeit, also erst mal die Entwicklung der Mehrstimmigkeit bis 1300 ungefähr.
Dann machen wir einen Sprung in die Renaissance, dann in den frühen Barock, beispielsweise Heinrich Schütz als Vorbild, dann in die Zeit Bachs und Händels, dann in die Klassik, in die Romantik, und dann habe ich ausgewählt etwa das Jahr 1920, weil da verschiedenes Neues in der Musik beginnt. Zum einen ist durch die Jugendbewegung auch eine Musikbewegung, eine Singbewegung entstanden, Hindemith gehört beispielsweise mit hinein. Und außerdem beginnt die Zwölftonmusik von Arnold Schönberg.
Und von 1920 geht es dann unmittelbar in unsere Gegenwart hinein. Das ist dann ein Stückchen meines Stiles. Da ich aber natürlich im vorigen Jahrhundert groß geworden bin, ähnelt es ein bisschen stärker dem, was vor 2000 war, als dem, was ganz junge Komponisten heute machen.
3. Es wird nicht nur Musik zu hören sein, welche anderen Ausdrucksmittel sind für die Aufführung geplant?
Lange Zeit hat mich bewegt, wie kann man den Zuhörern den Schritt von einer Epoche zur anderen deutlich machen? Da kam z.B. der Gedanke, dass man immer zwei Personen in Gewändern der jeweiligen Zeit auftreten lässt. Das war eine Möglichkeit, aber mit ziemlich viel Aufwand verbunden. Und dann hatte Christian Trappe die Idee, ob man nicht auch Dias dazu zeigen könnte, die übergeblendet werden.
Und von mir kam dann noch der Gedanke: … und ein paar kurze Worte jedes Mal dazu. Also beispielsweise nur: "Es ist die Zeit des Dreißigjährigen Krieges" oder "Eine neue Welt beginnt. Kolumbus bahnt den Weg nach Amerika", "Kopernikus greift nach den Sternen", "Leonardo da Vinci erfindet neue Maschinen und baut sich ein neues Bild des Menschen auf".
Durch diese Medien, Dias und Text in Verbindung mit einer wiederkehrenden Melodie, die sozusagen immer das Schreiten von einer Epoche zur anderen verdeutlicht, hoffe ich, dass diese Übergänge vom Zuhörer mit vollzogen werden können.
4. Wer hat an der Entstehung mitgewirkt?
Zunächst bin ich ziemlich lange ganz allein damit schwanger gegangen. Ich hab mich auch erst gefragt: Traust du dir eigentlich zu, dich in diese verschiedenen Stile einzufühlen? Da ich sehr viel Vorlesungen und Seminare in alter Musik und in Musikgeschichte gemacht habe, fühlte ich mich dann so bewandert, dass ich dachte, ich versuch es. Dann habe ich, nachdem der Plan feststand, als erstes mit Waldemar gesprochen ("Wäre dir das Recht?"). Waldemar war sofort einverstanden. Er hat mir dann vor allem viel Ratschläge gegeben, wenn es um Bläser ging, weil das für mich ein neues Feld war. Dann haben wir sehr rasch auch Christian Trappe zum Beraten und Besprechen herangezogen. Mit ihm zusammen ist eigentlich dann die Grobkonzeption entstanden. Sopranistin Gundula Bernhold war auch noch dabei.
Es war mir ein Anliegen, möglichst verschiedene Besetzungen in den verschiedenen Stilen zu haben, so dass es nicht zu langweilig wird. Es dauert ja trotzdem alles in allem fünfzig Minuten bis eine Stunde etwa. Da muss man dann schon auch psychologisch drauf achten, wie lang darf ein einzelnes Stück werden? Wann muss eine andere Besetzung kommen, was Aufmerksamkeit neu fordert.
Besondere Mühe hat mir dann die Jetzt-Zeit gemacht. Erstens, weil man ja etwas Eigenes sagen will, und dann ging es mir darum, die ganzen Irrungen und Zweifel unserer Zeit anklingen zu lassen, und trotzdem aus Überzeugung am Ende sagen zu können: Deshalb sei unser Leben ein Lobgesang!
5. Wie kann man die inhaltliche Kernaussage beschreiben?
Ich glaube, es war Christian Trappe, der mich als erster darauf aufmerksam gemacht hat, dass eigentlich unter der großen Überschrift "Lobgesang" vier Dinge zu verstehen sind. Die Menschen haben immer geklagt vor Gott. Sie haben ihn immer um etwas gebeten, sie haben ihm gedankt für etwas, und sie haben ihn auf irgendeine Weise gepriesen. Und das alles zusammen, so meinte er, und dem kann ich zustimmen, das ist eigentlich der Lobgesang.
Es gibt also einen Lobgesang im übergeordneten Sinne, der diese vier Dinge umfasst, und im engeren Sinn ist Lob und Dank dann noch mal eine Untergliederung. Und da kam der Gedanke, für jede Epoche entweder Klage oder Bitte und Dank oder Lob. Das war das Kernanliegen. Ich will deutlich machen zu allen Zeiten, und das ist das Durchgängige, sind Menschen mit ihrer Musik vor Gott getreten im Klagen und im Bitten, im Loben und im Danken. Und deshalb kam für jede Epoche je eines dieser Werke zustande.
6. Es gibt ja auch deinen Lippoldsberger Kreuzweg, der ist vor einigen Jahren uraufgeführt worden, und noch ein zweites Mal hier und anderswo. Gibt es thematische Verbindungen zwischen dem Kreuzweg und dem Lobgesang?
Ja, die gibt es. Die beiden Werke sind sozusagen eine Art Klammer. Der Kreuzweg war das erste, was wir gemeinsam mit Waldemar gemacht haben, der Lobgesang ist das letzte, was wir gemeinsam machen. Und da kam der Gedanke auf, dass das Ende des Kreuzweges "Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen", dass dieses wunderbar auch als Text vertont werden könnte "Darum sei unser Leben ein Lobgesang".
Als ich diese Parallele hatte, da hatte ich das Gefühl, da rundet sich etwas. Deshalb ist der Schluss des Lobgesangs wörtlich, mit anderem Text, der Schluss des Kreuzweges. Es freut mich, dass das so geworden ist. Ganz abgesehen davon - immer wieder praktisch denken - eine Stelle brauchte der Chor nicht neu zu lernen, bis auf den Text.
7. Wie lange hat die Komponiererei des Lobgesangs insgesamt gedauert und wie hast du dich auf die Komposition, auf die Zeiten vorbereitet?
Das ist sehr unterschiedlich. Die Idee war ziemlich schnell da. Dann gibt's wirklich so eine Zeit, wo man nur gedanklich damit umgeht. Wie könnte das gestaltet werden? Welche Epochen nehme ich und alles das. Das war ungefähr ein viertel Jahr lang.
Dann habe ich gedacht, unabhängig davon ob es je aufgeführt wird und ob ich es zustande bekomme, beginne ich jetzt zu komponieren. Was mir am leichtesten gefallen ist, ist sozusagen die Barockzeit und die Bach- Händelzeit. Zur gleichen Zeit aber dann auch eigentlich relativ schnell die Romantik. Ich hatte auch früher schon ein paar ähnliche Stücke geschrieben, dann kam das Mittelalter und die Moderne dazu. Der Chor "Also hat Gott die Welt geliebt" war auch schon praktisch fertig. Ich denke, dass ich an allem etwa ein dreiviertel Jahr gearbeitet habe, wobei dann immer wieder ein neues Ausfeilen kam.
Ich erinnere mich noch, dass wir in einer Sitzung mit Waldemar, Christian und Gundula zusammen waren und dass da noch viel, viel Kritik geäußert wurde. Da war ich erst ganz down, aber dann merkte ich: Ja, dass sind tolle Gedanken, die gekommen sind, und die halfen mir dann immer weiter.
Jetzt hoffe ich, dass wir eine Form gefunden haben, die meinen Wünschen entspricht, die den Möglichkeiten, die uns hier gegeben sind angemessen ist, und die auch zu dem passt, was das Grundanliegen ist, dass es für Waldemar das Abschiedskonzert sein soll.
8. Musikstile beschreiben ja auch den Zeitgeist der Menschen, was sie fühlen und denken, aber auch immer den Kontext, in dem sie stehen. Haben sich die Befindlichkeiten der Menschen mit der neuen Musik geändert?
Ich glaube, die Befindlichkeiten haben sich nicht geändert. Aber der Ausdruck, den diese Befindlichkeiten finden, der hat sich gewandelt. Das macht deutlich, dass man die Musikgeschichte nicht isoliert sehen kann, sondern sie ist eingebettet in das Gesamtgeschehen, in den Globe, in das, was sich in der Welt entwickelt.
Die mittelalterliche Welt bringt andere Musik hervor, da ist das mönchische dominierend, als die Renaissance, in der plötzlich etwas Helles und Lichtes in die Welt hineinkommt. In dem Text, den Christian entworfen hat, heißt es: "Das Licht der Antike, die wieder entdeckt wurde, vertreibt die Schatten des Mittelalters. An die Stelle der Klöster treten die Universitäten." Und das bringt eine ganz andere Musik hervor.
Da ich viel von der Musik kenne, war es für mich auch immer eine Freude, mich einzufühlen in die jeweilige Zeit. Ich habe ganz viel dabei gelernt - für mich selbst. Auch wieder unabhängig davon, ob es je aufgeführt würde oder nicht.
9. In welcher musikalischen Epoche bist du gefühlsmäßíg am meisten zu Hause?
Ich habe eben schon angedeutet, von meiner Jugend und Kindheit her ist die Schütz- und Bachzeit mir besonders nahe. Aber ich muss gleich sagen, der Mozart hat mich eben auch lebenslang begleitet. Dann war auch die Klassik da. Am spätesten vielleicht die Romantik.
In meiner Jugend war das Aussingen von Gefühlen ziemlich verpönt. Man übersprang eigentlich in der damaligen Zeit die Romantik sehr stark im Gegensatz zu heute. Heute wird sie ja nachgeholt. Du hörst überall Mendelssohn, Dvorak, Verdi.
In meiner Jugend, in der Zeit um 1950 da ging die Musik von der Barockzeit bis zur Klassik, die Romantik wurde übersprungen. Dann kam Neo-Barock, Hindemith, Bartok, Stravinsky, erst in der späteren Zeit wurde die Romantik mit einbezogen.
10. Hätte nicht in der romantisierenden Jugendzeit um 1920 rum die Romantik ganz stark sein müssen?
Ich glaube, das hängt mit der Erziehung zusammen. Wenn dir eingeprägt wird: Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder und flink wie Windhunde zu sein, traust du dir das nicht zu. Ich weiß noch sehr genau, dass ich in der NS-Zeit verschwiegen habe, dass ich gerne Blumen pflücke, oder dass ich liebend gerne in den Sternenhimmel schaue, oder dass ich abends noch mal aufstehe und mir eine Sinfonie anhöre, als Kind und als Jugendlicher, weil ich dachte: Das ist irgendwie zu weich, das darfst du nicht nach außen zeigen.
Ich denke, dass hat eine zeitlang auch nach dem Krieg noch nachgewirkt, bis man zu seinen eigenen Gefühlen stand und sie dann, Gott sei Dank, auch entdeckt hat und musikalisch ausdrücken konnte.
11. Du hast die Proben der Kantorei ganz oft begleitet. Es ist ein großes Erlebnis zu hören, wie du dir die Musik gedacht hast. Kannst du aus deiner Beobachtung heraus sagen, auf welche Stilrichtung sich die Sänger und Sängerinnen am besten einlassen konnten?
Eh ich deine Frage direkt beantworte, möchte ich erst noch einmal betonen, was für eine tolle Leistung es vom Waldemar ist, dass er mich so mitmachen ließ. Das muss einfach mal herausgestellt werden. Da war nie das Gefühl "Der überfährt mich" oder so etwas. Eigentlich nur durch meine Wertschätzung, die ich Waldemar gegenüber habe, wars auch möglich, dass ich mich so unbefangen mit einbringen konnte.
Ich denke, dass solche Sätze wie "Singt dem Herrn ein neues Lied", dass das am eingängigsten ist. Und dass das zunächst mal als erstes gut aufgenommen wird. Dann denke ich auch, dass so ein Gegensatz wie der romantische Chor relativ schnell auf einer ganz anderen Ebene den Chor berührt hat. Der war auch sehr rasch da. Schwieriger das Mittelalter, die Klassik, glaube ich, ging auch relativ schnell, das Gloria, ja, und am schwierigsten alles das, was mit der neueren Zeit zusammenhängt. Wobei es ein großes Glück war, dass ihr über drei oder vier Jahre "Also hat Gott die Welt geliebt" schon mitgesungen habt.
Ich denke, es kommt immer darauf an, dass man a) dass Stück technisch beherrscht, und b) dass man weiß, was der Hintergrund des Stückes ist. Für mein Gefühl ist das im Laufe der Zeit so geworden, dass jetzt jeder von euch im Chor sich in die jeweilige Zeit einfühlen kann. Ihr singt das Mittelalter anders als die Romantik. Oder "Singet dem Herrn …" dieses Strahlende, dass ist einfach toll.
Das ist eine große Leistung des Chores, die ich auch sehr hoch schätze, wobei ich mit Sicherheit weiß, dass jeder von euch so Lieblings- und Aggressionsstücke kennt. "Iieeh, den Schlusschor, den hasse ich!" Aber gute Chöre können eben auch das singen, was ihnen nicht gleich gefällt. Manchmal sagt man dann doch hinterher: Das war doch toll!
12. Wie entsteht bei dir die Musik, im Kopf oder am Klavier?
Ich habe früher immer gelesen, dass es wirklich zwei verschiedene Arten von Komponisten gibt. Für den einen steht Mozart für mich am deutlichsten da. Der war in der Lage, bis hin zur Instrumentierung Dinge im Kopf zu haben. Es gibt Beispiele, wo er die Overtüre für eine Oper, die morgen aufgeführt wird, am Tag davor noch geschrieben hat. Und er hat die anderen beruhigt: Ich hab sie schon ganz im Kopf.
Und dann gibt es Komponisten, ich weiß am deutlichsten von Stravinsky, der konnte nicht ohne das Instrument komponieren. Ich hab Mozart immer beneidet und wollte nie so sklavisch am Klavier hängen wie Stravinsky.
Ich denke, dass ich so eine Art Mitte bin. Ich hab oft einen spontanen Einfall, einen Gedanken, aber er kommt noch gar nicht in Noten, sondern der kommt so als "jadadadabam ba ba ba", irgendein Rhythmus, oder nur eine zackende Bewegung oder so etwas. In einem zweiten Schritt: Wie könnte man das realisieren, klanglich? Und in einem dritten Schritt: Was kommt noch dazu? Ganz oft aber mach ich's auch so, dass ich auch ans Klavier gehe, einfach mir den Text vorsage und dann, ich sag bewusst, was in die Finger kommt, zunächst einmal beobachte, und das aber wie Material nehme, was der Kopf neu bearbeitet.
Da ist natürlich auch ein Computer eine Hilfe, du kannst einfach das mal in den Computer eingeben, er spielt dirs vor und du kannst innerlich dann denken: Was könnte dazu kommen? Was könnte dazu passen? Also, wenn du mich fragst, eine Mischung zwischen realen Klängen ausprobieren und im Kopf die Klänge verfeinern, verändern.
Ich weiß ganz genau, auch wenn ich etwas ausprobiere am Klavier, das stimmt noch nicht. Es ist immer ein untrügbares Gefühl, das darfst du jetzt bitte nicht falsch verstehen, nicht im Hinblick auf die Qualität, die kann ich nicht immer genau beurteilen. Aber ich kann immer beurteilen, von mir aus gesehen, stimmt das noch nicht, ja, so stimmt es. Und dieser Prozess, das hast du heute in der Probe erlebt, bis zum letzten Mal, dass man plötzlich sagt: Nein, der eine Ton stimmt noch nicht. Das ist nicht ein Perfektionsfimmel, aber du merkst, da stört dich noch etwas. Und dann denkst du solang drüber nach, bis du weißt: Ja, so kann ich's abgeben.
13. In wenigen Tagen wird das Werk "Lippoldsberger Lobgesang" uraufgeführt und du kriegst es das erste Mal vollständig zu hören. Wie ist dir zumute, wenn du an den ersten Moment denkst, in dem die Musik beginnt?
Meine Sorge ist immer, ich glaube, dazu bin ich zu lange Lehrer gewesen, was kann man eigentlich den Zuhörern zumuten? Und wenn ich bedenke, Waldemars Stück sind etwa 6 Minuten, dann kommen 15 Minuten das Händel Concerto Grosso, und dann eine Stunde der Lobgesang. Kann man den Zuhörern 1 Stunde 25 Minuten zumuten oder wird das zuviel? Das ist die Frage, die mich in den letzten Wochen umgetrieben hat.
Ich war manchmal nahe dran zu sagen: Lass uns was kürzen, lass uns den Chor wegsetzen oder so etwas. Es war eigentlich Waldemar immer wieder, der sagt: Komm, bei dem letzten Konzert dürfen die auch mal eineinhalb Stunden aushalten. Gundula sagte auch: Du, das muss doch möglich sein, das ist doch ganz klar. Also, wenn ich diese Sorge erst mal beiseite räume, dann ist eine große Spannung weg.
Ich glaub, ich bin froh, wenn der Anfang gemacht worden ist, wenn die Instrumentalteile durchgespielt sind, und wenn damit nicht mehr als eine halbe Stunde vorbei ist. Dann atme ich das erste Mal durch. Dann gibt es ein paar Angststellen, natürlich, wo man einfach weiß: Die können gut glücken, sie können aber auch schief gehen. Das ist bei jedem Live-Konzert so. Wann das Herz dann plötzlich schneller schlägt? Bewegte Pause …Ich hoffe, dass es sich dann auch wieder beruhigt.
[ Textheft ]