Gebetskapelle
Vom brennenden Dornbusch
Die romanische Klosterbasilika von Lippoldsberg ist ein touristisches Highlight, dessen Besucher mit sehr unterschiedlichen Interessen in die Kirche kommen. Da gibt es geschichtsbegeisterte Mittelalter-Fans, kunstgeschichtlich interessierte Romanik-Freunde ebenso wie Radtouristen, die vielleicht nur mal an einem kühlen Ort verschnaufen wollen.
Oft werden die Menschen aber von der spirituellen Atmosphäre dieser Stätte berührt. Und nehmen Platz, um zu sich selbst zu kommen und in eine stille Zwiesprache mit dem Leben zu treten.
Für diese Besucher, die unter der Woche hier ihre ganz private Andacht halten, wurde jetzt in einer Seitenkapelle eine Stahlskulptur als Meditationsbild aufgestellt.
Symbol mit offener Deutung
Das Symbol des "brennenden Dornbuschs" erscheint der Kirchengemeinde besonders geeignet, weil es offen ist und auch zu Menschen spricht, die keine Christen sind.
In der biblischen Geschichte, der das Bild entlehnt ist, offenbart sich Gott dem Mose aus einem lodernden Busch heraus mit den Worten: "Ich bin, der ich bin; ich werde sein, der ich sein werde."
So wie Gott sich in dieser Geschichte nicht auf einen eindeutigen Namen oder eine bestimmte Gottesvorstellung festlegen lassen will, so wird auch niemand auf die Idee verfallen, den Dornbusch als ein heiliges Bild zu verehren. Die Skulptur ist gegenständlich, und doch auch leer und durchlässig. Sie hält nur den Raum dafür offen, dass Gott vielleicht auch uns – wie dereinst Mose – aus dem Feuer des Busches heraus begegnet kann.
"Du sollst Gott fürchten und lieben", hat Martin Luther den Menschen empfohlen - wohl wissend, dass Gott uns die dornigen Seiten des Lebens nicht erspart.
Das Kunstobjekt
Gefertigt wurde der eiserne Dornbusch von dem Metallbildhauer Matz Schulten aus Gottsbüren. "Die Aufgabe war ungemein reizvoll, aber auch knifflig“, sagte der Künstler. "Denn was die Natur mit Leichtigkeit schafft, ist gar nicht so leicht nachzubilden: Ein dreidimensionale Zweiggeflecht, das von allen Seiten harmonisch wirken soll. Und dabei sollte der Busch auch etwas Schroffes haben – eben ein Dornbusch bleiben."
Als Kunstwerk spricht der Busch auch für die, die die biblische Geschichte nicht kennen. Während die Kerzen die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zieht, gebieten die Dornen ihm zugleich, Abstand zu halten. Das entspricht der Widersprüchlichkeit des Lebens.
Raum für ein Gebet
Die Seitenkapelle wird nicht nur von reiselustigen Fremden besucht. Die Ortsansässigen kommen dorthin vor allem, um ihrer verstorbenen Angehörigen zu gedenken. Denn dort liegt seit langem ein "Buch des Lebens" aus, in das regelmäßig die Namen der Verstorbenen eingetragen werden.
Es gibt also viele Gründe, unter der Woche an diese uralte Stätte zu kommen, um eine Kerze anzuzünden – eine Kerze für ein Gebet.