Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr - Volkstrauertag
Das große Weltgericht
Vorstellungen von einem göttlichen Gericht haben sich in vielen Religionen ausgebildet. Mal wird es als ein allgemeines Weltgericht am Ende der Zeiten vorgestellt, mal als ein individuelles Gericht am Ende eines Lebens. Man muss über diese künftigen Details nicht streiten, denn das Gerichtsbild zielt eigentlich auf unsere Gegenwart. Wie ein großer Spiegel weist es uns auf die Bedeutung unserer Entscheidungen hin, vor denen wir in jedem Augenblick stehen.
Gedanken
Nichts ist gleichgültig.
Nichts geht verloren.
Alles was wir tun oder nicht tun,
kann unendliche Perspektiven haben.
Keine Flucht kann auf Dauer gelingen.
Es kommt alles noch einmal zur Sprache.
(Helmut Gollwitzer)
Erzengel Michael als Seelenwäger - Meister von Sorigerola
Evangelium
(Mt 25, 31-46)
Wenn der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit, und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit. Und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.
Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten:
Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters,
ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!
Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben.
Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben.
Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen.
Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet.
Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht.
Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.
Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken:
Geht weg von mir, ihr Verfluchten,
in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!
Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe,
aber die Gerechten in das ewige Leben.
Interpretation
Ohne Zweifel - mit dem Bild vom Weltgericht wurde ungeheurer Missbrauch getrieben. Mag die ursprüngliche Absicht gewesen sein, die ungerechte Welt an eine ausgleichende Gerechtigkeit zu erinnern, so ist die Kirche immer wieder der schwarzpädagogischen Versuchung erlegen, dabei Ängste zu schüren, um sich Menschen gefügig zu machen.
Das unsägliche Ablassgeschäft, dass im 16.Jh. den Anstoß zur Reformation gab, ist nur ein Beispiel dafür, wie der befreiende Auftrag der Religion immer wieder verraten wurde.
Tetzels Ablasspredigt (Luther - der Film)
Es war sicher weise, das Szenario von Himmel, Hölle und Gericht für eine Weile ruhen zu lassen - wie in den Kirchen während der letzten Jahrzehnte geschehen ist.
Andererseits lässt sich das Problem, auf welches das Gerichtsbild verweist, nicht auf Dauer verschweigen: Menschliches Leben kann misslingen. Das ist keine prophetische Aussage über eine ferne Zukunft, sondern eine alltäglich erfahrbare Wirklichkeit.
Auf diese Realität weist das Bild vom Weltgericht hin. Und eine der großen Stärken dieser Vorstellungen ist, dass es nicht Reichtum, Ansehen und Erfolg sind, die am Ende entscheiden, ob ein Leben scheitert oder nicht. Auch nicht das Ergebnis, ob wir mit unsern begrenzten Kräften wirklich Zerstörung aufhalten und Gutes ausrichten konnten.
Entscheidend vor Gott ist allein unsere Haltung, die Einstellung. Das Zünglein an der Waage des großen Weltgericht reicht hinein in die Feineinstellungen unseres Herzens, an denen sich letztlich unser Lebensglück entscheidet.
Ein weiterer Stärke des Bilds vom großen Weltgericht liegt darin, dass es uns davon abhält, selbst abschließende Urteile zu fällen. Während fromme Eiferer sich ihres gerechten Weges oft so sicher sind, dass sie am liebsten schon einmal anfangen möchten mit dem Richten, bleibt das letzte Urteil der souveränen Entscheidung Gottes vorbehalten. Das mahnt uns zur Zurückhaltung und bedeutet eine große Entlastung.
Und schließlich: Als Christen stellen wir uns vor, dass es Christus ist, der auf dem himmlischen Richterstuhl sitzt. Also nicht irgendein Anwalt einer absoluten Gerechtigkeit, sondern der Menschensohn, der unser Leben kennt, der, weil er alles versteht, auch alles zu verzeihen weiß.
Wer die biblischen Geschichten von Jesus wirklich gelesen hat, wird sich ihn als Weltenrichter wohl kaum wie einen Hinrichter vorstellen. Vielleicht eher wie einen Aufrichter und Ausrichter. Einen, der uns bis in die Tiefe hinein erkennt und dessen Liebe alle Verstellungen und Verbiegungen aufzulösen vermag und unser wahres Wesen ans Licht bringt.
Geschichte
Rabbi Susja sagte: "In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen:
'Warum bist du nicht Mose gewesen?'
Man wird mich vielmehr fragen: 'Warum bist du nicht Susja gewesen?'
Man wird mich nicht fragen: ,Warum hast du nicht das Maß erreicht, das der größte und gewaltigste Glaubende unserer Religion gesetzt hat?'
Sondern man wird mich fragen: ,Warum hast du nicht das Maß erfüllt, das Gott dir ganz persönlich gesetzt hat? Warum bist du nicht das geworden, was du eigentlich hättest werden sollen?'"
Brauchtum
Volkstrauertag
Die apokalyptischen Weltuntergangsszenarien der Bibel sind in der Geschichte längst Wirklichkeit geworden, am deutlichsten wohl in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts.
Der Volkstrauertag entstand auf Drängen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge bereits nach dem 1. Weltkriegs und wurde bald von den Nationalsozialisten unter dem Namen "Heldengedenktag" für ihre Propagandainteressen benutzt. Seit dem Ende des 2.Weltkrieges wird der Volkstrauertag als Gedenktag an die vielen Millionen Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in allen Ländern begangen.
Erster Weltkrieg
- 2 037 000 Gefallene /vermißte deutsche Soldaten
- 7 200 000 Gefallene /vermißte Soldaten, übrige Welt
- 500 000 Zivilbevölkerung der Welt
- 9 737 000 Opfer des Ersten Weltkrieg insgesamt
- 21 100 000 Kriegsbeschädigte
Zweiter Weltkrieg
- 7 375 800 Tote Deutsche insgesamt
- 6 200 000 Juden
- 20 300 000 Sowjetische Streitkräfte /Zivilisten
- 55 293 500 Opfer des Zweiten Weltkriegs insgesamt
- 35 000 000 Kriegsbeschädigte
Ghetto im 2. Weltkrieg
Die Erschütterung über die Grauen dieser und anderer Kriege wach zu halten als Mahnung für ein vorsichtiges, friedliches politisches Handeln in der Zukunft ist Sinn des Volkstrauertages.
Sorgt ihr, die ihr noch im Leben steht,
dass Friede bleibe,
Friede zwischen den Menschen
und Friede zwischen den Völkern.
Theodor Heuss
Stuttgarter Schuldbekenntnis der Kirchen vom Oktober 1945
in einer auf unsere heutige Zeit bezogenen Fassung:
Vor Gott, unserem Richter,
und voreinander
bekennen wir uns schuldig
des Unglaubens,
der Ungerechtigkeit
und des Unfriedens,
im Kleinen und Großen.
Wir klagen uns an, daß wir
nicht mutiger bekannt,
nicht treuer gebetet,
nicht fröhlicher geglaubt
und nicht brennender geliebt haben.
Wir bitten Gott um Gnade,
um Vergebung unserer Schuld.
Wir hoffen zu Gott,
dass er uns trotz unseres Versagens
noch dazu brauchen kann,
sein Evangelium zu verkündigen
und an sein Gebot zu erinnern,
bei uns selbst und bei unserem ganzen Volk.
Wir hoffen zu Gott,
daß durch den gemeinsamen Dienst der Kirchen
dem Geist der Gewalt und der Vergeltung,
der immer von neuem mächtig werden will,
in aller Welt gewehrt werde
und der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft komme,
in dem allein die gequälte Schöpfung Heilung finden kann.
Gemeinsam mit der ganzen Christenheit
bitten wir Gott um Erbarmen.
Die Madonna von Stalingrad
Madonna von Stalingrad
Die Madonna von Stalingrad ist eine innere Hinwendung zu Licht, Leben und Liebe in Erinnerungen an weibliche Wärme und Geborgenheit inmitten eines vom Männern inszenierten Weltuntergangs.
Die Zeichnung entstand zum Weihnachtsfest 1942 auf der Rückseite einer Landkarte in Stalingrad. Sie hängt heute in der Berliner Gedächtniskirche.
Der Maler des Bildes, Pfarrer Kurt Reuber, hatte seinem Vorbild Albert Schweizer folgend Theologie und Medizin studiert. Während des Krieges verließ er sein Pfarramt von Wichmannshausen bei Eschwege, um als Truppenarzt in Lazaretten zu arbeiten.
Weitere Informationen zum Volkstrauertag »»
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