Misericordias Domini
2. Sonntag nach Ostern
Der klangvollen Sonntagsname ist wie üblich einem Psalm entnommen: "Die Erde ist voll der Güte des HERRN." (Ps 33,5)
Der Sonntag ist ungewöhnlicherweise einem einzigen, klar umrissenen Motiv gewidmet, dem Bild "des guten Hirten". Das Bild passt jahreszyklisch gut in die Zeit, in der auf sattgrünen Wiesen die jungen Lämmer springen; zugleich hat es aber auch tiefe Verbindungen zum Karfreitags- und Ostergeschehen.
Die frühe Christen vermieden eine Darstellung des skandalösen Kreuzestodes Jesu. Statt dessen fassten sie den Abstieg Jesu in das Reich des Todes im Bild des guten Hirten, der sich selbst hingibt, um die verlorenen Schafe zu retten.
Christus als der Gute Hirte
(Priscilla-Katakombe - Rom)
Schafträger, 4.Jahrhundert
(Lateranmuseum - Rom)
Die ältesten Jesusdarstellungen konnten dabei auf das Motiv des Schafträgers zurückgreifen, das in der Antike weitverbreitet war und als Allegorie der Menschenfreundlichkeit verstanden wurde. Zum Typos des Schafträgers gehört eine harmonische Landschaft, das paradiesische Arkadien, das bukolische Idyll und musikalisch die Pastorale. Trotzdem begegnet das Motiv - auch schon in vorchristlicher Zeit - sehr häufig in unheilvollem Kontext: als Grabgestaltung.
Evangelium
Der gute Hirte (Joh 10,11-15)
Christus spricht:
Ich bin der gute Hirte.
Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.
Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören,
sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht -
und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -,
denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe.
Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich,
wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater.
Und ich lasse mein Leben für die Schafe.
Interpretation
Arkadische Hirtenidylle
(Vergil-Illustration
MSS Vat. lat. 3867)
So beschaulich und geborgen das Bild des guten Hirten zunächst wirkt, es geht nicht auf in der Idylle. Im Hintergrund droht stets das Chaos. Da ist das einzelne verlorene Schaf, das sich verirrt hat (Lk 15, 4 ff.), oder die reißenden Tieren, die die ganze Herde bedrohen.
Der gute Hirte bewährt sich gerade in den Schwierigkeiten, und er ist dabei keiner, der unverwundbar über allem stünde. Um die Gefährdeten zu retten, begibt er sich selbst in Gefahr. Dem Verirrten nach geht er in die Irre. Und um die Schafe zu schützen, stellt er sich selbst dem Wolf entgegen. Um die Toten zurück ans Licht des Lebens zu holen, steigt Christus sogar hinab in das Totenreich.
Irisches Schaf am Abgrund
Der gute Hirte ist ein Handelnder, indem er Leidender ist. Indem er das Leid bewusst annimmt, bahnt er einen Weg durch die Gefahr. Hilfreich ist dieser Hirte nicht als einer, der für uns irgendwelche Gefahren besiegt, sondern als der, der uns in unser verborgenes Selbst einführt. Wenn wir ihm vertrauen und hinabsteigen in die Tiefe unseres Leids, dann werden wir auch mit ihm wieder aufsteigen aus dem gefährlichen Dunkel. Und am Ende dann wirklich: Idylle - Paradies - Frieden. Aber erst am Ende.
Gedanke
Um ein tadelloses Mitglied
einer Schafherde sein zu können,
muss man vor allen Dingen ein Schaf sein.
Albert Einstein
Gebet
Psalm 23
Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele;
er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
[ Zurück zu "Zeiten" | weiter ]