Nikolaus
Heiliger zwischen Kult und Klamauk - 2
In neun Kapiteln geht Christian Trappe der Frage nach, wie sich die Nikolaus-Legende entwickelt und erhalten hat.
- Einführung - Wer war Nikolaus
- Die Stratelaten-Legende
- Brot für Myra
- Entfaltung der Legenden und Bräuche
- Die Scholarenlegende
- Die Anfänge des Spiels im Mittelalter: das Kinderbischofsspiel
- Die Entwicklung der Beschertraditionen zu Nikolaus
- Knecht Ruprecht und Weihnachtsmann
- Resümee
Die Stratelaten-Legende
Die historisch tragfähigste Schicht der Nikolauslegenden ist die sog. Stratelaten-Erzählung (Stratelat bedeutet Feldherr):
Kaiser Konstantin entsandte drei Feldherren nach Phrygien, wo sie einen Aufstand niederschlagen sollten. Wegen eines Sturms mussten ihre Schiffe einen Hafen aufsuchen und landeten in der Nähe von Myra.
Besorgt, es könne zu Übergriffen der Schiffsbesatzung kommen, lud Nikolaus die drei Feldherrn zu sich ein. Während des Essens wurde dem Bischof eine dringende Nachricht überbracht: Der korrupte Stadthalter von Myra wolle die Verwirrung, die infolge der Ankunft der Soldaten in der Stadt herrsche, ausnutzen. Er habe drei rechtschaffene Männer gefangen genommen und zum Tode verurteilt, um deren Reichtum an sich zu bringen. Nikolaus zögerte nicht. Er eilte zum Richtplatz, und kam gerade noch rechtzeitig, um das Schwert des Henkers aufzuhalten.
Die drei Feldherren, die die Szene miterlebten hatten, setzten ihre Reise fort, sobald die Windverhältnisse sich gebessert hatten. Nachdem sie von ihrem Feldzug siegreich heimgekehrt waren, wurden sie in Konstantinopel zu Opfern einer Intrige. Unter dem Verdacht des Hochverrats verhaftet, erinnerten sie sich an ihr Erlebnis in Myra und erflehten mit inständigem Gebet die Hilfe des Bischofs.
Sie wurden erhört: Noch in derselben Nacht erschien Nikolaus im Traum sowohl dem Kaiser als auch dem Minister, der für die Intrige verantwortlich war. Beiden drohte der Bischof mit schlimmen Konsequenzen, falls man die drei Unschuldigen nicht freiließe. Tief beeindruckt von der Macht dieses Gottesmannes, von dem er noch nie etwas gehört hatte, ließ der Kaiser die Gefangenen frei. Er schickte die drei mit Geschenken nach Myra, wo sie ihrem Retter danken sollten.
Diese Legende zeigt deutlich historische Züge: Es werden konkrete Orte und geschichtliche Personen genannt, vor allem natürlich Kaiser Konstantin. Für den Erfolg der Nikolaus-Legenden ist es nicht unerheblich gewesen, dass der Bischof von Myra zu der Zeit lebte, als das Christentum Staatsreligion wurde.
Es lassen sich aber auch eindeutige Spuren erzählerischer Bearbeitung erkennen: Z.B. ist das Motiv der dreifachen Rettung aus der Märchenlogik vertraut. Die Verdreifachung deutet an, dass etwas nicht nur zufällig geschieht, sondern wesenhaft ist: Nikolaus ist ein Retter der in Not Geratenen. Nikolaus wurde zum wichtigen Vorbild eines christlichen Bischofs: Eine grundgütige, aber zugleich handfest auftretende Vaterfigur.
Dieses schlichte Grundmotiv wurde durch die anwachsende Legendenbildung in ganz verschiedene Lebenszusammenhänge übertragen: Für das mediterrane Umfeld der Ostkirche war es wichtig, dass Myra eine Hafenstadt war. Viele Nikolaus-Geschichten sind im Milieu der Seeleute und Händler angesiedelt.
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