Fakten statt Fabeln
Weihnachtsoratorium in der Klosterkirche Lippoldsberg hielt sich streng an biblische Geschichte
(Bericht der HNA vom 14. Dezember 2016 - Nicola Uphoff-Watschong)
Lippoldsberg. Das Ziel des dritten Adventsonntags steht bei vielen Menschen offenbar schon lange im Kalender. Die Klosterkirche Lippoldsberg war zum traditionellen Adventskonzert auf jeden Fall gut gefüllt.
Der Posaunenchor unter Leitung von Harro Jährmann begrüßte die Besucher mit festlichen Klängen von Johann Sebastian Bach. Die Kantorei öffnete musikalisch die Türen und Tore mit einem a-cappella Satz von Friedrich Silcher.
Joseph Haydns Divertimento für Bläser machte deutlich, dass auch die derzeit in diesem Bereich nicht hauptberuflich besetzte Kantorenstelle die Spielfreude und das Können des Posaunenchors nicht trüben kann. Mit vier Sätzen rahmten die Bläser das Hauptwerk der Kantorei ein, die unter Leitung von Kantor Roman Stahl auch in kleinerer Besetzung als sonst ihr Bestes gab.
Über die Geburt und Kindheit Jesu berichten die Evangelien der Bibel recht knapp. Vieles wurde später hinzu gedichtet, doch der Dichter Johann Gottfried Herder behielt die Urtexte im Blick und der jüngste Bach-Sohn Johann Christian schrieb eine klar strukturierte Musik dazu. Wenngleich immer wieder deutliche frühromantische Sprache und Klänge erkennbar waren, behielt das barocke Erbe doch die Oberhand.
Mehrere Choreinsätze wechselten mit Arien und Rezitativen. Besonders das Schlaflied der Maria, sehr behutsam gesungen von Carla Braun, betörte mit mehreren Wiederholungen die Ohren des Publikums.
Sopranistin Valeria Schneller hatte kürzere Soli zu singen, Tenor Peter Gortner und Bass Niklas Sikner waren mal bodenständige Hirten, mal nachdenklicher Simeon, dessen Blick in die Zukunft auch schon das Schicksal des Kindes in der Krippe erkannte.
Das Ensemble sang zum Schluss noch ein Quartett von Gottfried August Homilius. Die große Kirche zu füllen hätte es vielleicht etwas kräftigere Stimmen brauchen können, doch für das insgesamt eher zarte Werk war das Volumen der Sänger durchaus angemessen.
Chor und Solisten wurden begleitet vom Ensemble Accompagnato und Peer Schlechta auf der Orgel, die sehr fein auf das Dirigat des Kantors reagierten. Ihre große Erfahrung in der Begleitung solcher Werke gab allen Sängern viel Sicherheit.
Zum Abschluss stimmten alle in das große Adventslied "Tochter Zion" ein, das zum festlichen Ausklang in Lippoldsberg einfach dazu gehört.
Über das Werk
Auch in dem eher wenig bekannten Oratorium "Die Kindheit Jesu" und von den vier komponierenden Bach-Söhnen wahrscheinlich am wenigsten bekannten und am meisten in Schatten gestellten Bach-Sohn Johann Chr. Friedrich Bach beginnt das Werk mit der Freudenverkündigung eines Engels.
Ein spannendes Werk aus einer spannenden Zeit -einer im wahrsten Sinne des Wortes von Spannungen geprägter Zeit des Umbruchs. Der Pietismus und die Aufklärung spalten die Gesellschaft, während die immer mehr aus der Mode geratene Lutherische Orthodoxie zwischen den Gegenbewegungen an Vermittlungsversuchen allmählich scheitert.
So ist es nicht verwunderlich, dass in der Musik dieses Zeitgeistes ebenfalls ein Umbruch stattfindet. Salopp könnte man sagen: Von Bach-Vater über Mozart bis Beethoven ist in dem Werk alles dabei.
Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass in dieser Zeit der Frühklassik, in den 1770er Jahren am Bückeburger Hof, das bereits genannte Oratorium in Auftrag gegeben wird. Und zwar nach einem Text vom Johann Gottfried Herder persönlich.
Der Aufklärer, Humanist, aber auch Theologe Herder pflegte eine recht enge Freundschaft mit dem "Bückeburger" Bach-Sohn. Das Ergebnis dieses harmonischen Miteinanders war unter anderem dieses Werk, bei dem die Rhetorik des Humanisten mit der Musik des Komponisten auf eine warme und ästhetische Art zu harmonieren scheint. - Eine Rhetorik eines Sprachkünstlers, welche Bach-Vater so nicht zur Verfügung hatte.
Leider sind viele der größeren Werke des "Bückeburger" Bach-Sohnes verschollen. Die Rezeption seines musikalischen Werks erreichte bisher nicht die Bedeutung der seiner Brüder. Dieser Eindruck mag mit der unvollkommenen Überlieferung und unklaren Quellenlage seiner Kompositionen zusammenhängen.
Die Kindheit Jesu ist jedoch ein idyllisches Weihnachtsoratorium einer Umbruchszeit. Viele ineinandergreifende Rezitative, sowie gelungene Mischung von Chor-, Instrumental- und Solopassagen machen das Werk abwechslungsreich und kurzweilig.
Abrupte Akkordbrechungen und Seufzermotive sind typisch für diese Phase der Empfindsamkeit, bzw. des galanten Stiles, jedoch spürt man hin und wieder nicht nur die anbrechende Klassik, sondern auch den Hauch einer von ferne spürbaren Romantik.
Dies alles fußt jedoch immer noch auf dem alten Kontrapunkt und Satzlehre wie er es von seinem Vater in jungen Jahren gelehrt bekommen hatte. Dies wirft ein Schlaglicht auf die gestalterische Kraft dieses Bach-Sohnes aus zweiter Ehe, das veranlasst, die bisherigen Urteile über ihn zu überdenken.
Mitwirkende:
Kantorei der Klosterkirche Lippoldsberg
Posaunenchor der Klosterkirche Lippoldsberg
Valeria Schneller (Sopran)
Carla Braun (Alt)
Peter Gortner (Tenor)
Niklas Sikner (Bass)
Instrumentalisten des Ensembles ACCOMPAGNATO
Roman Stahl (Gesamtleitung)
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