Zwischen den Stühlen ist viel Platz
Musikalische Freiheiten zwischen Bach und Jazz
(Bericht der HNA vom 3. August 09 - Nicola Uphoff-Watschong)
Lippoldsberg. Eine musikalische Auftaktveranstaltung für ein Fest (950-Jahr-Feier), das einen Balanceakt zwischen Historie und Moderne wagt, lässt Spielraum für spannende Klänge.
Daniel Schmahl (Flügelhorn, Trompete) und Johannes Gebhardt (Orgel) loteten den Raum zwischen zwei Stühlen aus. Auf dem einen saß unverkennbar J.S. Bach, den anderen teilten sich zeitgenössische Jazzkomponisten. Zwischen den Stühlen zu sitzen hieß im Fall dieses einzigartigen Duos aber keineswegs, dass sie ihre musikalische Heimat noch nicht gefunden haben. Gebhardt ist verwurzelt in der Kirchenmusik, Schmahl erfüllt schon lange eine große Liebe zum Jazz. Aber beiden ist es gelungen, die erlernten Grenzen zu sprengen und tief in die jeweils andere Musikrichtung vorzudringen.
Dem Blick der Zuhörer entzogen verschmolzen Johannes Gebhardt (links - Orgel)
und Daniel Schmahl (rechts - Flügelhorn, Trompete) von der Empore der
Klosterkirche Lippoldsberg aus Klassik und Jazz zu einer Musik,
deren größter Reiz im Ungewöhnlichen lag.
Das Ergebnis war eine erstaunliche Kombination barocker Harmonien und moderner Akkorde, die mal streng nebeneinander standen, mal weich ineinander flossen. So ging die sanft getragene Bach-Arie "Bist du bei mir" nahtlos in eine gleichnamige Komposition von David Timm (*1969) über, der zwar das Thema aufgriff, harmonisch aber etwas vollkommen Neues schuf.
Nach einer durch und durch klassisch interpretierten Orgelsonate von Bach (1685-1750) bewies Gebhardt dann in seinem selbst geschriebenen "Concerto for us", wie sehr er auch die komplexesten Jazzrhythmen verinnerlicht hat. "Schnallen Sie sich an" warnte er in einer längeren Einführung vor Beginn des Konzertes und gab vorab einen akustischen Einblick in dieses Kernstück des Programms. Er verwendete dafür einen außergewöhnlichen 7/16 Takt in wahnwitzigem Tempo.
Die äußerst vielfältige Registrierung der Orgel bis hin zu Saxophonklängen und die teils improvisierten meisterhaften Trompetensoli wurden vom verblüfften Publikum mit Szenenapplaus zwischen den drei Sätzen belohnt. Immer wieder blitzten von J.S. Bach initiierte Klangideen durch das Stück, verfremdet und doch merkwürdig vertraut.
Ein kurzer Ausflug in die Romantik mit Skizzen von R. Schumann (1810-1856) führte weitere interessante Klangmöglichkeiten der renovierungsbedürftigen Orgel vor, die auf Grund ihrer mechanischen Probleme eine große Herausforderung für Musiker darstellt.
Weitere rhythmisch und harmonisch sehr anspruchsvolle Kompositionen Gebhardts führten wieder zurück zu den sanften Klängen von J.S. Bachs Choralbearbeitung "Jesu meine Freude". Die Zuhörer aber hatten Appetit auf noch mehr Jazz und entließen das exzellente Duo nicht ohne Zugabe, in der noch einmal die Kunst der Improvisation Raum fand.
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