Im Leben zum Tode bestimmt - Im Tode zum Leben berufen
Passionskonzert in der Klosterkirche Lippoldsberg vereint Gegensätze
(Bericht der HNA vom 14. April 09 - Nicola Uphoff-Watschong)
Lippoldsberg. Karfreitag - 15 Uhr - die Todesstunde Jesu wird an der Klosterkirche eingeläutet. Aber nicht mit lautem, gewöhnlichem Glockenschlag. Nur bruchstückhaft hört man schon von weitem ein, zwei Schläge, dann Pause, eine Weile dringen unregelmäßig leise Töne wie ersterbender Herzschlag vom Kirchturm herunter. Das gebrochene Leben des Gottessohnes wird schon vor Beginn des Passionskonzertes klanglich erfahrbar. Danach schweigen die Glocken bis zum Ostermorgen.
© Nicola Uphoff-Watschong
In diese Stille hinein erklingen die dunklen, langsam aufbauenden Akkorde des Wilhelmshavener Streicherensembles, das für den Beginn das eindringlich zarte Concerto Grosso g-Moll von Antonio Vivaldi ausgewählt hat. Nicht festlich gestimmt, aber auch nicht zu düster erschließen die Klänge den schwierigen Weg zum Geschehen am Kreuz, den die 180 Konzertbesucher zu gehen bereit sind.
Und so folgen sie der Aufforderung der Kantorei "Schau hin nach Golgatha", einer Motette von Friedrich Silcher. Die Direktheit, mit der Silcher den Todeskampf des sterbenden Christus beschreibt, wird durch die klare, akzentuierte Interpretation der Kantorei ergreifend unterstrichen. Auch 2000 Jahre nach Jesu Hinrichtung fühlt man sich unmittelbar betroffen von der Verstrickung in Schuld, Gewalt und Tod.
© Nicola Uphoff-Watschong
Doch das Gesamtwerk des Konzerts soll nicht auf der Schattenseite des Daseins verharren. Im Leben zum Tode bestimmt, doch im Tode zum Leben berufen - diese beiden gegensätzlich erscheinenden Bewegungen menschlichen Daseins werden am Karfreitag in der Basilika tröstlich vereint.
Ein Orgelwerk J.S. Bachs mit verhaltenen Klängen, gespielt von Kirchenmusikdirektor Klaus Dieter Kern, ist eingerahmt von zwei "Al Santo Sepolcro"-Werken für Streicher. In ihnen malt Vivaldi musikalische Bilder vom heiligen Grab Jesu, deren Klangfärbung schon den Blick weitet für das österliche Geschehen.
© Nicola Uphoff-Watschong
Mit großer stimmlicher Präsenz und kunstvoll verwobenen Einsätzen übernimmt die Kantorei diese Stimmung in der Choralkantate "Was Gott tut, das ist wohlgetan" von Pachelbel. Atemlose Stille herrscht beim Concerto Grosso B-Dur von Corelli, das im zweiten Satz mit einem meisterhaft virtuosen Celloeinsatz den Höhepunkt des Konzerts bildet. Zwei Schützmotetten beschließen die Stunde mit friedvollen Worten des Vertrauens in Gott.
Still hat das Konzert begonnen, schweigend geht es zu Ende. Es ist schon Tradition, dass die meditative Stimmung nicht durch lautes Klatschen gebrochen wird. Doch Respekt und Bewunderung für die hervorragende Leistung und Zusammenarbeit aller Akteure schwingen in den Gesprächen vor der Kirche mit.
30 Jahre Mitwirkung des Wilhelmshavener Streicherensembles
Wilhelmshavener Streicherensemble 2009
© Nicola Uphoff-Watschong
Zum 30. Mal wirkte das Wilhelmshavener Streicherensemble unter Leitung von Konzertmeister Matthias Hengelbrock im Passionskonzert in der Klosterkirche mit.
Hervorgegangen ist das Ensemble aus Schülern des Wilhelmshavener Gymnasiums, die ab 1970 das Lippoldsberger Nohl-Haus und die Winterkirche für intensive Probenphasen nutzten. Den Abschluss bildete in jedem Jahr das gemeinsam mit der Kantorei St. Georg gestaltete Passionskonzert an Karfreitag.
Später gründeten die ehemaligen Gymnasiasten, die an verschiedenen Universitäten Deutschlands ihr Studium aufgenommen hatten, das "Wilhelmshavener Streicherensemble" und trafen sich weiterhin einmal im Jahr in Lippoldsberg, um gemeinsam neue Stücke einzustudieren.
Seit 1979 steht das Ensemble in jedem Jahr für die Lippoldsberger Passionsmusiken zur Verfügung. Die Instrumentalisten spielen bei den Orchesterwerken immer ohne Dirigent und berücksichtigen bei den Interpretationen die Forschungsergebnisse aus dem Bereich der barocken Aufführungspraxis.
Aus dem Kantorei-Programm
Friedrich Silcher ist uns heute hauptsächlich durch seine Lieder bekannt. Er sammelte Volkslieder - ähnlich wie die Brüder Grimm Volksmärchen - und arrangierte zahlreiche Chorsätze zu den deutschen und internationalen Liedern.
Als Musikdirektor und Lehrer setzte sich Silcher für die Volksliedpflege in allen Lebensbereichen ein: in Schule, Kirche, Haus und öffentlichem Leben. Silcher hielt das Volkslied für ein pädagogisches Mittel, um das Volk zu bilden.
Schau hin nach Golgatha! Dort schwebt am Kreuzesstamm im Todeskampf dein Jesus, mit deiner Schuld beladen. Schau hin!
Schau hin nach Golgatha! Er neigt sein sterbend Haupt. Es bricht sein Herz. Selbst Engel weinen. Der Welterlöser [ist] tot.
O Lamm Gottes, unschuldig am Stamm des Kreuzes geschlachtet,
allzeit erfunden geduldig, wiewohl du warest verachtet,
all Sünd hast du getragen, sonst müßten wir verzagen.
Erbarm dich unser, o Jesu / Gib deinen Frieden, o Jesu.
Johann Pachelbel wirkte im thüringischen und süddeutschen Raum. Zunächst versah er das Organistenamt in Eisenach und Erfurt. In dieser Zeit pflegte er einen freundschaftlichen Umgang mit der Bach-Familie: Pachelbel war Taufpate der Tochter und Lehrer von Johann Christoph geworden. Später führte es ihn in seine Heimatstadt Nürnberg zurück.
Das Vokalwerk Pachelbels nahm in seinem kompositorischen Schaffen einen beachtlichen Umfang ein. Heute ist er der Nachwelt vor allem durch seine Orgelwerke bekannt; im Zentrum stand für ihn der lutherische Choral.
Vers 1 - Sopran
Was Gott tut, das ist wohlgetan, es bleibt gerecht sein Wille;
wie er fängt seine Sachen an, will ich ihm halten stille.
Er ist mein Gott, der in der Not
mich wohl weiß zu erhalten; drum laß ich ihn nur walten.
Vers 2 - Alt und Tenor
Was Gott tut, das ist wohlgetan, er wird mich nicht betrügen;
er führet mich auf rechter Bahn; so laß ich mir genügen
an seiner Huld und hab Geduld,
er wird mein Unglück wenden, es steht in seinen Händen.
Vers 3 - Chor
Was Gott tut, das ist wohlgetan, er wird mich wohl bedenken;
er als mein Arzt und Wundermann wird mir nicht Gift einschenken
für Arzenei; Gott ist getreu,
drum will ich auf ihn bauen und seiner Güte trauen.
Vers 4 - Bass
Was Gott tut, das ist wohlgetan, er ist mein Licht und Leben,
der mir nichts Böses gönnen kann; ich will mich ihm ergeben
in Freud und Leid, es kommt die Zeit,
da öffentlich erscheinet, wie treulich er es meinet.
Vers 5 - Chor
Was Gott tut, das ist wohlgetan; muß ich den Kelch gleich schmecken,
der bitter ist nach meinem Wahn, laß ich mich doch nicht schrecken,
weil doch zuletzt ich werd ergötzt
mit süßem Trost im Herzen; da weichen alle Schmerzen.
Vers 6 - Chor
Was Gott tut, das ist wohlgetan, dabei will ich verbleiben.
Es mag mich auf die rauhe Bahn Not, Tod und Elend treiben,
so wird Gott mich ganz väterlich
in seinen Armen halten; drum laß ich ihn nur walten.
Heinrich Schütz fiel schon als Knabe durch seine "sonderliche Inclination zu der edlen Music" und seine schöne Stimme auf. Landgraf Moritz der Gelehrte aus Kassel wurde auf den Jungen aufmerksam und war fortan sein Gönner und Förderer.
Nach Studienjahren in Venedig kehrte Schütz als Organist nach Kassel zurück und trat später das Amt des Organisten und Musikdirektors am Dresdner Hof an. Kurz darauf brach der 30-jährige Krieg aus, der Schütz´ Amtsausübung stark beeinträchtigte.
Aus Anlass des Friedensschlusses von 1648 entstanden die beiden Motetten:
Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten.
Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten,
denn du, unser Gott, alleine.
Gib unsern Fürsten und aller Obrigkeit Fried und gut Regiment,
daß wir unter ihnen ein geruhig und stilles Leben führen mögen
in aller Gottseligkeit. Amen
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