Russische Geschichten - Erzählungen - Gedichte
Literarisch-musikalische Lesung - Den Trübsinn hat der Doktor mir verboten
(Bericht vom 30. Januar 05 - Christina Bolte)
Lippoldsberg hüllte sich in ein russisch anmutendes Winterkleid: Schnee auf den Gehwegen, die Straßen rutschig vereist und frostige Temperaturen im Minusbereich. Dennoch machten sich annähernd fünfzig Menschen auf den Weg in die abendliche Winterkirche, angelockt von russischer Literatur unter dem Titel: "Den Trübsinn hat der Doktor mir verboten!" Sie sollten nicht enttäuscht werden!
Gerd Zimmermann verstand es von Anfang bis Ende seiner Lesung, die Zuhörer für russische Sprache und Literatur zu begeistern und einen Bogen zum Verständnis dieses großen Nachbarn im Osten zu spannen. So begrüßte er sein Publikum mit einem berühmten Zitat von Fjodor Tjutschev zuerst auf deutsch und dann in fließendem, wohlklingendem Russisch:
"Verstand wird Russland nie verstehen,
kein Maßstock sein Geheimnis rauben.
So wie es ist, so lasst es stehen -
an Russland muss man einfach glauben"!
Die erste Hälfte des Abends war dem lyrischen und erzählenden Werk Alexander Puschkins gewidmet. Er gilt als der "Goethe" Russlands, der den Grundstein für die große russische Nationaldichtung legte. Alle bedeutenden russischen Erzähler , so Zimmermann, bauen auf Puschkin auf. Die herausragende Bedeutung und Wirkung Alexander Puschkins (1799 - 1837) ist umso erstaunlicher, bedenkt man die kurze Lebensdauer dieses Dichters, der nur 38 Jahre alt - bei einem Duell ums Leben kam.
Um die Feinheiten des russischen Humors zu verstehen, ist es hilfreich, die sozialen und gesellschaftspolitischen Hintergründe der Zeit zu kennen. Zimmermann gelang es, diese Hintergrundinformationen gezielt und aufs Wesentliche komprimiert zu vermitteln: etwa wenn er die Bedeutung und Verbindlichkeit der Ikonenverehrung erläuterte oder die Hierarchie der dreizehn bis fünfzehn gesellschaftlichen Rangstufen erklärte.
Durch diese kenntnisreiche, pointierte Einführung in die Lebens- und Denkweise der Menschen im 18. und 19. Jahrhundert erschlossen sich Ironie und Situationskomik der heiteren Geschichten Puschkins und Cechovs auf besonders nachhaltige Weise.
Zwischen den Texten erklangen volkstümliche russische Melodien, meisterlich interpretiert von Waldemar Rumpf am Klavier.
Waldemar Rumpf
Mit den Geschichten Zostschenkos wurde der Bogen nach der Pause (es gab heißen Tee mit echtem russischen Wodka, der Seele, Geist und Körper wärmte) ins 20. Jahrhundert geschlagen. Zostschenko nimmt den russischen Alltag unerbittlich satirisch-ironisch aufs Korn, etwa wenn er die "Segnungen des elektrischen Lichtes" im Scheine wanzenverseuchter und heruntergekommener russischer Wohnverhältnisse beleuchtet. Dieser russische Satiriker war trotz seiner Gesellschaftskritik der einzige, der unter der stalinistischen Diktatur publizieren durfte.
Es war ein großes Hörvergnügen, dass Gerd Zimmermann mit seiner Vorlesekunst und Waldemar Rumpf mit seinen gut ausgewählten russisch-musikalischen Zitaten den Zuhörern in der Winterkirche von Lippoldsberg bereiteten. Und so sei heute schon darauf hingewiesen, dass dieser Abend 2006 eine Fortsetzung finden wird - unter dem Titel: "Perlen russischer Literatur!"
Über Gerd Zimmermann
Gerd Zimmermann
Gerd Zimmermann (Jg. 1942) ist promovierter Slawist und ein versierter Russlandkenner, der das Land seit über 20 Jahren regelmäßig privat und als Leiter von Reisegruppen bereist.
Seine Liebe und Begeisterung aber gehört den russischen Dichtern und der russischen Sprache, die er in seinen Lesungen einfühlsam und ausdrucksstark an die Zuhörer zu vermitteln versteht.
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