Goldenes Herz und eiserne Schnauze
Rollwagen-Premiere - Glossen und Essays von Kurt Tucholsky
(Bericht der HNA vom 6. September 07 - Nicola Uphoff-Watschong)
LIPPOLDSBERG. Ein Mensch mit wachem Verstand, offenen Augen für soziales und politisches Unrecht und einer scharfen Zunge, die all dies öffentlich beim Namen nennt, gibt nicht viel Anlass zu Fröhlichkeit. In diese Schublade wird Kurt Tucholsky, der wohl bedeutendste Publizist der Weimarer Republik, oft gesteckt.
Und doch wurde viel gelacht bei der ersten Tucholskylesung des Theaters Rollwagen, das unter dem Titel "Wo kommen die Löcher im Käse her?" im Klosterkeller Lippoldsberg gastierte. Denn Tucholsky pflegte auch diese andere literarische Seite - kleine Versatzstücke gespickt mit witziger, spritziger Satire, die seiner Beobachtungsgabe menschlicher Schwächen entsprang.
Der erklärte Pazifist ließ sich unter anderem über das Wesen und Unwesen der "familia domestica communis" (gemeine Hausfamilie) aus, deren Lebenssinn darin besteht, ihre Nase in die Angelegenheiten der anderen zu stecken. Tucholskys Ansichten über Frauen mögen strittig sein. Er unterstellt ihnen mittels des Prototyps "Lottchen" Verschwendungssucht, Eitelkeit und Lügerei, und doch - fühlte frau sich nicht irgendwie ertappt?
Brunhild und Jörg Falkenstein vom Theater Rollwagen bereitete es selber viel Spaß, die heitere Seite Kurt Tucholskys zu entdecken. Durch sie wurden sein "goldenes Herz" und seine "eiserne Schnauze" wieder lebendig.
Die Männer dagegen erscheinen vor Tucholskys literarischem Bühnenbild muffelig, ungeduldig und zynisch, doch nur scheinbar überlegen. Brunhild und Jörg Falkenstein ist die im Hintergrund schwelende Gesellschaftskritik der kurzen Episoden bewusst. Sie lesen szenisch und heben mit Stimmen und Mimik treffsicher mal die eine, mal die andere karikierende Spitze hervor. Schneller Schlagabtausch liegt dem Theater Rollwagen im Blut, besonders die diversen Ehekräche, die Tucholsky sprachlich inszeniert, geraten den beiden Schauspielern lebensecht und doch augenzwinkernd.
Eingeschobene, kurze Werbespots, Tucholsky nannte sie "Werbekunst", gehören zu den weniger bekannten, aber sehr amüsanten Veröffentlichungen des Dichters und Literaten, der 1935 im Alter von 45 Jahren an einer Überdosis Schlaftabletten im schwedischen Exil starb. Für seinen Grabstein hatte er sich selbst eine möglich Inschrift erdacht: "Hier ruht ein goldenes Herz und eine eiserne Schnauze. Gute Nacht!"
Die politischen Umstände seiner Zeit ließen ihm nicht viel Raum für Heiterkeit, doch würde man einen wesentlichen Charakterzug Tucholskys verschmähen, ließe man seine Glossen und kabarettistischen Essays unbeachtet. Wer die Premiere des Rollwagens verpasst hat, dem sei die zweite Vorstellung am 28. Oktober um 17.00 Uhr wärmsten empfohlen.
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