Letzter Sonntag des Kirchenjahres - Totensonntag
Friedhof im Schnee - Caspar David Friedrich
König Friedrich Wilhelm III. verfügte im Jahr 1816, den letzten Sonntag des Kirchenjahres dem Gedenken an die Toten zu widmen. Er nahm damit ein so vitales Interesse auf, dass auch die übrigen protestantischen Landeskirchen dem preußischen Vorstoß folgten. So entstand der Totensonntag, das evangelische Gegenstück zum katholischen Allerseelentag.
Seither endet das Kirchenjahr allerdings in Moll, während das Evangelium als Grundlage unseres Festkalenders eigentlich nach einem hellen Schlussakkord verlangt.
In Lippoldsberg nehmen wir die innere Spannung des letzten Sonntags in unterschiedlichen Gottesdienstgestalten zu zwei verschiedenen Zeiten auf:
Am Vorabend des Totensonntags laden wir die Angehörigen der im letzten Jahr Verstorbenen zu einem Requiem ein, das der Trauer Raum gibt, während der Gottesdienst am Morgen des Ewigkeitssonntags von strahlenden Hoffnungsbildern bestimmt ist.
Diese Aufteilung nimmt nicht nur die Spannung von Tag und Nacht auf, sondern entspricht dem traditionellen Wochenschema der Christenheit, nach dem der Samstag als Tag der Grabesruhe, der Sonntag als Auferstehungstag begangen wird.
Gedanken
Es gibt nichts, was uns die Abwesenheit eines lieben Menschen ersetzen kann, und man soll das auch gar nicht versuchen; man muss es einfach aushalten und durchhalten; das klingt zunächst sehr hart, aber es ist doch zugleich ein großer Trost; denn indem die Lücke wirklich unausgefüllt bleibt, bleibt man durch sie miteinander verbunden.
Es ist verkehrt, wenn man sagt, Gott füllt die Lücke aus; er füllt sie gar nicht aus, sondern er hält sie vielmehr gerade unausgefüllt und hilft uns dadurch, unsere echte Gemeinschaft miteinander - wenn auch unter Schmerzen - zu bewahren.
Ferner: Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer die Trennung.Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual der Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.
Man muss sich hüten, in den Erinnerungen zu wühlen, sich ihnen auszuliefern, wie man auch ein kostbares Geschenk nicht immerfort betrachtet, sondern nur zu besonderen Stunden und es sonst nur wie einen verborgenen Schatz, dessen man sich gewiss ist, besitzt; dann geht eine dauernde Freude und Kraft von dem Vergangenen aus.
Dietrich Bonhoeffer (Brief vom Heiligabend 1943 an Renate und Eberhard Bethge)
Biblische Lesung
(Hiob 19,25-27a)
Ich weiß, dass mein Erlöser lebt,
und als der letzte wird er über dem Staub sich erheben.
Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden,
so werde ich doch Gott sehen.
Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen.
Gedenkstein der Mühsal des Lebens - Inschrift: Ruhe sanft
Friedhof Lippoldsberg
Interpretation
Es ist kein zweifelhafter Glaube, dass mit dem Tod nicht alles aus ist, sondern eine Erfahrung, die wir an vielen Stellen unseres Lebens machen.
Menschen haben verschiedene Vorstellungen davon entwickelt, wie das Leben nach dem Tode aussieht, - haben sich den Himmel ausgemalt. Alle diese Bilder sind natürlich falsch, weil unser Geist immer auf sichtbare Dinge fixiert ist und diese unsichtbare Welt unsere Vorstellungskraft übersteigt. Entscheidend ist nur das Eine: Es geht weiter.
Gabriel und Raphael - Seelenführer
Zum Engel der letzten Stunde, den wir so hart den Tod nennen,
wird uns der weichste, gütigste Engel zugeschickt,
damit er gelinde und sanft das niedersinkende Herz des Menschen
vom Leben abpflücke und es in warmen Händen und ungedrückt
aus der kalten Brust in das hohe, wärmende Eden trage.
Sein Bruder ist der Engel der ersten Stunde,
der den Menschen zweimal küsset,
das erste Mal, damit er dieses Leben empfange,
das zweite Mal, damit er droben ohne Wunden aufwache
und in das andere lächelnd komme, wie in dieses Leben weinend.
Jean Paul
Lied
Wir sind zum Mahl geladen (nach EG 213)
1. Wir sind zum Mahl geladen in Gottes güldnen Saal,
es führt der Gott der Gnaden uns aus dem finstern Tal.
Der Erd und Himmel lenkt, will Gastmahl mit uns halten
und wunderbar gestalten, die Liebe, die er schenkt.
2. Gott führet uns zusammen weit über Raum und Zeit,
uns, die wir hierher kamen und die in Ewigkeit
in seinem Frieden ruhn. Nährt uns mit Himmelsspeise,
stillt auf verborgne Weise all unsre Trauer nun.
3. Kommt her, betrübte Seelen, die Not und Jammer drückt,
lasst euch mit Gott vermählen, der wunderbar beglückt.
In ihm sind wir bereit, die Schulden zu vergeben,
in Frieden jetzt zu leben in Zeit und Ewigkeit
(veränderte Fassung von Christian Trappe)
Brauchtum
"Requiem eternam dona eis" / Ewige Ruhe gib ihnen...
Mit diesem Gebetswort beginnt seit Urzeiten die Totenandacht der Christenheit, die von dem lateinischen Eingangsvers ihren Namen erhalten hat: Requiem.
Wo der Begriff "Requiem" nur noch als konzertante Musik im Bewusstsein ist, gerät in Vergessenheit, dass das Totengedenken der Christen ursprünglich eng mit dem Abendmahl verbunden war.
Wenn wir uns am Altar zum Abendmahl versammeln, dann stellen sie sich immer in die große Gemeinschaft des Reiches Gottes, zu der die Lebenden ebenso wie die Verstorbenen gehören. Dieser Aspekt des Abendmahls lässt sich besonders hervorheben, wenn man sich am Vorabend des Totensonntags zum Requiem versammelt, um sich in der Ruhe bergender Kirchenmauern über Zeit und Raum hinweg mit den Verstorbenen verbunden zu wissen.
Ground Zero - Kerzen als Ausdruck öffentlicher Trauer
"Ewige Ruhe gib ihnen, o Herr, und das ewige Licht leuchte ihnen."
Die Geste, eine Kerze für Verstorbene zu entzünden, mag für evangelische Christen ungewohnt sein, ist aber viel älter als die Trennung der Konfessionen und verbindet Menschen über Religionsgrenzen hinweg.
So viele evangelische Kirchengemeinden haben in den letzten Jahren einen Lichterbrauch in die Liturgie des Totensonntags aufgenommen, dass die kurhessische Landeskirche dieses in ihrer Gottesdienstordnung inzwischen berücksichtigt hat: Bei der Verlesung der verstorbenen Gemeindeglieder "kann als Zeichen der Erinnerung für jeden Namen eine Kerze brennen oder jeweils angezündet werden" (Agende I der EKKW, S.457).
Gebetskapelle Lippoldsberg
In der evangelischen Kirche zu Lippoldsberg hat das Anzünden von Kerzen lange Tradition. In der Gebetskapelle steht seit fast 50 Jahren eine Kerze, die zunächst zum Gedenken an die Toten der Weltkriege entzündet wurde. Seit einigen Jahren liegt dort das "Buch des Lebens" aus, in das alle Verstorbenen der Gemeinde eingetragen werden. Und die etwa 1000 Kerzen, die dort im Jahr verbraucht werden, zeugen davon, wie viele Menschen von der Möglichkeit Gebrauch machen, eine Kerze für ein Gebet zu entzünden.
So ist es in Lippoldsberg zum Abschluss des Requiems am Totensamstag den Angehörigen auch ohne innere Widerstände möglich, ein Licht vom Altar mitzunehmen und es auf den Friedhof, zum Grab ihrer Angehörigen zu bringen. Eine zärtliche Geste und zugleich ein Ausdruck christlicher Hoffnung, die über Dunkel und Grab hinweg lichte Ewigkeit schaut.
Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. (Joh 8,12)
Gedicht
Totensonntag
Heute müssten wir vielleicht
Ja vielleicht
Wirklich mal was tun
Was andere Leute auch tun.
Mit der Zeit kommt mir der Verdacht
Dass es uns weniger gut bekommt
Als wir hofften
So freigesprochen von den Daten zu leben
So anders als andere Leute
Die jeweils zu Kreuze kriechen
Die an einem Tag wie diesem
Mit eingezogenem Genick
Über die Friedhöfe herfallen
Während für uns feststeht:
Dieser ganzen Kalenderermahnungen
Bedürfen wir nicht
Wirklich, wir doch nicht
Ja vielleicht
Liegt es aber auch am Wetter
Das reimt sich doch nicht
Auf Totensonntag, November und Trauer
Ein so übertrieben blauer Himmel mit Sonne
Ja wirklich, vielleicht doch
Wenn stattdessen eine Art Schneeregen fiele
Und alles dunkelbraun wäre
Dann sähe ich uns bei der Mitarbeit
Dort an den Gräbern
Wirklich vielleicht
Ja vielleicht müssten wir
Einmal wieder die einfacheren Haltungen annehmen
Wir bedürfen der Gedenktage allzu dringend
Es könnte sich etwas ändern
An der täglichen Knochenarbeit
Täglich der Jahres Wechsel
Der Geburtstag eines Toten.
Gabriele Wohmann
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